Rede von Wolfgang Horbert anlässlich der Eröffnung der Ausstellung

TONI SCHNEIDERS – FOTOGRAFIE

12. März bis 05. Juni 2006

Ausstellungseröffnung im Landesmuseum Koblenz am 11.03.2006

Vor 85 Jahren wurde Toni Schneiders in Urbar, ganz in der Nähe der Festung Ehrenbreitstein geboren. Das Landesmuseum Koblenz widmet ihm einen Bildband sowie eine umfassende Ausstellung seines Lebenswerkes. Wir hoffen damit einem der bedeutenden Lichtbildner der Nachkriegszeit in angemessener Weise zu begegnen.
Der heute in Lindau am Bodensee lebende Fotograf Toni Schneiders ging einst in Koblenz zur Schule und erlernte anschließend im Atelier von Hermann MENZEL im Schlossrondell das Fotografenhandwerk. Eigentlich wollte er Maler werden, doch es gab hierfür keine geeignete Ausbildungsmöglichkeit vor Ort.
Trotz einiger Schwierigkeiten – der Arbeitgeber war wohl kein rechter Menschenfreund – war die Ausbildung 1939 erfolgreich beendet und damit auch der Aufenthalt des Jungfotografen in Koblenz. Das Militär hatte für Toni Schneiders sehr schnell eine passende Verwendung bei der Bildstelle der Luftwaffe. Später wurde er Kriegsberichterstatter an verschiedenen Fronten in Italien und Frankreich. Erwähnenswert ist seine dienstliche Teilnahme an der Befreiung Mussolinis durch deutsche Fallschirmjäger am 12. September 1943. Seine Fotos von den dramatischen Ereignissen am Gran Sasso befinden sich heute im Koblenzer Bundesarchiv.
Toni Schneiders versuchte nach Kriegsende in vakant gewordenen Ateliers – so am Bodensee oder in Hamburg – die Existenz eines bodenständigen Fotografen aufzubauen. Doch ENGE war niemals sein Ding. So ließ er sich als freier Fotograf – heute würde man sagen: als selbständiger Bildjournalist – in Lindau nieder, kaufte ein Haus, gründete eine Familie und wurde berühmt.
In seinem neuen Umfeld lernte er sehr bald den Künstler Julius Bissier kennten, mit dem ihn eine lange und innige Freundschaft verband. Der rege geistige Austausch zwischen dem jungen Fotografen und dem Meister der ungegenständlichen Malerei mag ein wichtiger Impuls für die weitere Entwicklung des nach neuen und erfolgversprechenden Wegen suchenden Lichtbildners gewesen sein.
Die Erfahrung, wie bei Bissier die künstlerische Formgebung die sichtbare Wirklichkeit überwindet, wie die bildnerischen Mittel Form, Farbe, Helligkeit, Bewegung und Material ganz selbständig eine eigene Welt entfalten können, bestärkte ihn in seinem Bestreben, die Bedeutung des Motivs auch in der Fotografie neu zu definieren.
Allerdings lässt sich das Prinzip der abstrakten Malerei nicht so einfach auf das Medium Fotografie übertragen. Der Lichtbildner ist und bleibt eng mit der existenten, sichtbaren Wirklichkeit verbunden. Der Versuch einer Annäherung der Fotografie an Wesenszüge der abstrakten Kunst und die Suche nach Möglichkeiten, die tradtitionelle – nur nach objektiver Abbildung strebende Fotografie – zu überwinden, bestimmten fortan das gestalterische Schaffen Schneiders.
Sein Ziel war es, das Foto durch ganz persönliche Gestaltung zu einem unverwechselbaren Ausdrucksträger zu machen.
Er blieb also dem Gegenstand, wenn auch oft aus ganz ungewohntem Blickwinkel, verpflichtet. So löste er bisweilen das Motiv aus seinem Umfeld, änderte die Bezugspunkte, machte das normalerweise nicht gemeinte zum gemeinten. Die souveräne Beherrschung des Handwerks half ihm zu betonen, zu unterdrücken.
Meisterlich erscheinen mir Werke mit den Titeln: „Luftblasen in Eis“, „Amorphe Struktur“, „Verspielte Schatten“ oder Gräser, aufgenommen in chaotischer Ordnung. Der Ursprung dieser Motive erschließt sich dem Betrachter erst beim genauen Hinsehen.
Solche Ideen waren nicht ganz neu, sie griffen fotografische Gestaltungsformen von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit wieder auf, die von den Nazis 1933 zumindest offiziell verworfen worden waren. Die Umsetzung der individuellen Sichtweise des freien Bildjournalisten Toni Schneiders in der unmittelbaren Nachkriegszeit war für manchen Auftraggeber oder Kritiker noch ungewohnt, ja sogar unakzeptabel.
Doch der Durchbruch zum großen Erfolg kam. 1949 fand in Neustadt a.d.W. eine für die französische Besatzungszone organisierte Weinmesse, gemeinsam mit einer Fotoausstellung statt. Es gab nicht nur für Toni Schneiders Ärger mit einer offenbar allzu konservativ eingestellten Jury. Die von der Teilnahme Ausgeschlossenen bildeten eine Art Notgemeinschaft, die innerhalb kürzester Zeit in der Fotoszene für Furore sorgen sollte.
Die Gruppe gab sich den kurzen, das Ziel formulierenden Namen „fotoform“. Die Mitglieder dieser Vereinigung waren: Peter Keetman – Siegfried Lauterwasser – Wolfgang Reisewitz Otto Steinert – Ludwig Windstoßer.
Alles Namen, die heute die Fotokataloge der großen Versteigerungshäuser in aller Welt so attraktiv und voluminös machen.
Der Kunsthistoriker Prof. Schmoll gen. Eisenwerth, Freund sowie Ratgeber des Wortführers und Vordenkers Otto Steinert, formulierte einmal das Anliegen der Gemeinschaft so: „Ziel der Gruppe war es, geformte Kamerabilder oder schlichter ausgedrückt Lichtbilder auszuführen, bei denen weniger der Zufall als die B i l d f o r m , das formale Gefüge, der – natürlich nur schwarz-weißen Fotografie – im Vordergrund stehen sollte.“
Leicht machte es sich die Gruppe nicht. Vor einer gemeinsamen Ausstellung unterzog man sich der Beurteilung aller durch alle. Es wurde kritisiert, verworfen und – man staune – gelobt. Nur Bilder, die eine Mehrheit fanden, wurden unter dem Signum „fotoform“ der Öffentlichkeit präsentiert. Durch diese sehr enge, sehr kritische Zusammenarbeit – oft auf dem Postwege verwirklicht – erreichte die Gemeinschaft ein hohe Niveau. Es kristallisierten sich deutlich gemeinsame Wertmaßstäbe und Zielvorstellungen heraus.
Die Gruppenausstellungen erregten im europäischen Raum sehr große Beachtung, besonders anlässlich der Kölner Photokina Sonderschauen 1950/51. Ein Kritiker der FAZ bezeichnete damals die Wirkung der fotografischen Arbeiten von „fotoform“ als „Atombombe im Misthaufen der übrigen deutschen Fotografie“.
Lassen wir diese vorlaute Äußerung als Zeichen ungetrübter Begeisterung einfach so stehen. „fotoform“ war sehr erfolgreich, doch keineswegs langlebig. Von einem verschworenen Freundeskreis konnte man hier ohnehin nicht sprechen. Ideen und Engagement gingen bereits Mitte der 50er Jahre in der umfassenderen, international orientierten Stilbewegung „Subjektive Fotografie“ auf. „fotoform“ oder „Subjektive Fotografie“ wurden zum Prinzip, zu einer im Wesentlichen von Steinert und Prof. Schmoll gen. Eisenwerth definierten, allgemein anerkannten Wertvorstellung. 1957 löste sich die Gruppe endgültig auf. Irgendwann – so gestand mir Toni Schneiders – war es eine Erleichterung, den Gruppenzwang (vielleicht auch den Übervater Steinert) wie ein Korsett abzulegen, um frei und erfolgreich arbeiten zu können.
Fotografie als Selbstzweck, ja als Selbstverwirklichung war in den 50er Jahren als Existenzgrundlage kaum denkbar. Toni Schneiders versuchte einen Spagat, er unterschied „Auftragsarbeiten und „künstlerisches Oeuvre“. Doch in der Praxis vereinigten sich beide Aspekte weitgehend zu einer Schnittmenge.
Die vielen nun folgenden Fernreisen bedeuteten für den nun gänzlich Unabhängigen (nach eigenen Worten): DURCHATMEN, FREIHEIT, KREATIVITÄT. Oft ohne feste Pläne, geschweige denn festgelegte Arbeitsaufträge in der Tasche, bereiste er vorwiegend zwischen 1955 und 1970 u.a. Fernost, Äthiopien, Nordafrika, Südeuropa und Skandinavien. Vermarktet wurde die fotografische Ausbeute später in zahlreichen Bildbänden oder umfangreichen Magazinberichten. Es entstanden dabei länderkundliche Übersichten mit Dokumentationen und Interpretationen. Letztere transportieren unabhängig vom Entstehungsraum universell gültige Gedanken und Gefühle. Besonders im Menschenbildnis wird deutlich, dass der überzeugte Humanist Toni Schneiders das Verbindende, das über alle Grenzen hinweg Gemeinsame suchte und fand. Die in drei ganz unterschiedlichen, weit voneinander getrennten Ländern entstandene Mutter-Kind-Serie macht dieses Anliegen – wie mir scheint – besonders sichtbar.
Betrachtet man die Stilmittel seiner Fotografie, so sind die auffallenden Kriterien:
konsequente Konzentration auf das inhaltlich Wesentliche, klare, schnörkelfreie Komposition, Einbeziehung einer sehr bewussten Lichtwahl und Beschränkung der Bildzeichen auf das Notwendigste.
Trotz der bisweilen sehr radikalen formalen Reduktionen blieb dem Fotografen das Inhaltliche ein wichtiges Anliegen. Ich nenne einige Beispiele: „Das Haus am Kreuzweg“, 1957 in Salzburg aufgenommen: Zwei sich kreuzende Wege teilen eine Bildfläche spannungsvoll in vier unterschiedlich große Flächen. Der „GOLDENE SCHNITT“ perfektioniert das Bildgefüge – Ästhetik pur!
Die auf der Weggabelung erscheinende winzige Menschengestalt genügt jedoch, um dem Bild eine andere, aus dem rein Formalen hinausführende Richtung zu geben.
Die so erzeugte Spannung zwischen Landschaft und Mensch finden Sie bei Schneiders recht häufig. Beachten Sie z.B. das Bild der Fjordbrücke (1959). Hier wird die bildfüllende filigrane Struktur des Bauwerks durch ein kleines Auto, gleichsam stellvertretend für den Menschen, belebt. An anderer Stelle wird die grafisch interessante Struktur eines steinigen Ackers durch einen winzigen pflügenden Bauern oder das Eisenbahnstellwerk in Lindau (1949) durch einen eher unscheinbaren anonymen Gleisarbeiter inhaltsträchtig, auf den Betrachter bezogen.
Ganz im Gegensatz zur Reisezeit schuf Toni Schneiders in der früheren „fotoform“-Ära vergleichsweise wenig Menschenbildnisse. Beachtenswert: Kehrseite des Frühlings, 1949, Ein Mann alleine, 1951, Wartende Frau, 1951, Der triste Tag, 1955.
Diese Arbeiten haben nicht nur schwermütige Titel, die abgebildeten Menschen wirken auch so. Vielleicht sind es Spiegelbilder einer in Kriegszeiten verletzten Seele.
Wir bemühten uns bei der Bildauswahl sowohl zum Buch als auch zur Ausstellung einen möglichst umfassenden Einblick in das vielfältige Werk des engagierten Fotografen zu vermitteln. Wir sind froh, dass er selbst dabei tatkräftig mitgewirkt hat. So ist die Dokumentation von ihm mitgeprägt und nicht nur – wie es normalerweise üblich ist – alleine die Interpretation der Ausstellungsmacher.
Für die Auseinandersetzung mit dem Autor bin ich sehr dankbar. Gehen Sie nun auf eine spannende Entdeckungsreise durch die Präsentation eines Fotografen, der die Welt betrachtete, um kreativ zu werden. Ich wünsche Ihnen dabei viel Freude.

Wolfgang Horbert
< eMail an W. Horbert >

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